Namenlos1

Mittwoch, 10. September 2003

Akten, Agenten und Attacken

Im Grünen Salon" von n-tv streitet sich Günter Wallraff mit den Moderatoren

Andreas Förster

Lassen wir doch mal die Aufgeregtheiten beiseite", ruft Günter Wallraff, und endlich wird einmal gelacht im Grünen Salon der Volksbühne. Denn dazu kommt es am Dienstag in der nach dem Veranstaltungsort benannten Talkshow des Nachrichtensenders n-tv viel zu selten. Verbissen und bisweilen aggressiv streitet man stattdessen über Akten und Agenten, über kommunistische und faschistische Diktaturen, über die Springer-Presse und die Stasi. Schon lange nicht mehr hat es im deutschen Fernsehen eine so aufregende und aufgeregte Gesprächsrunde gegeben.

Fischer greift ein

Die Voraussetzungen dafür waren allerdings auch günstig. Günter Wallraff, jahrzehntelang ein bissiger und sprachgewandter Ankläger gesellschaftlichen Unrechts, sieht sich seit gut drei Wochen in die für ihn ungewohnte Rolle des Angeklagten gedrängt. Er muss widerlegen, was für die Birthler-Behörde und die Medien unwiderlegbar scheint: Als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi aktiv gewesen zu sein.

Bemerkenswert ist es da, dass Wallraff im Grünen Salon Claus Strunz gegenüber sitzt, dem Chefredakteur der im Axel Springer Verlag erscheinenden Bild am Sonntag. Strunz und die frühere Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer moderieren die Talkshow. Das Verhältnis Wallraffs zum Springer Verlag ist bekanntlich spätestens seit dem Erscheinen seines Buches Der Aufmacher" im Jahre 1977, in dem er die unsauberen Praktiken der Bremer Bild-Redaktion enthüllte, nachhaltig zerrüttet. Hinter den Springer-Leuten vermutet Wallraff denn auch die Initiatoren der derzeitigen - wie er es nennt - Stasi-Kampagne" gegen sich. Er scheut sich nicht, das auch in der Sendung Claus Strunz mehrfach vorzuhalten, der daraufhin Wallraff einen Hang zu sinistren Verschwörungstheorien" vorwirft.

Interessant zu beobachten ist das Agieren der grünen Ex-Ministerin Fischer. Sie fährt immer dann dazwischen, wenn Wallraff mal wieder den Springer Verlag attackiert. In der Werbepause, als Kameras und Mikros ausgestellt sind, können die Zuschauer im Salon gar mithören, wie Frau Fischer Wallraff um Mäßigung ersucht: Strunz sei doch nicht die Bild-Zeitung.

Kurzzeitig bremst sich Wallraff und nennt Strunz sympathisch und angenehm, ja, er könne ihn sich gut als Pianisten vorstellen. Sie passen gar nicht rein bei Bild", schiebt Wallraff nach, und das meint er sogar als Kompliment.

Die meiste Zeit der Sendung über aber erklärt Wallraff wortreich, warum er sich mit dem Rostocker Kulturredakteur, der ein IM war, in Kopenhagen traf, warum er keine Berichte über B- und C-Waffen-Forschung in Westdeutschland an die Stasi gegeben haben könne und wer welche Artikel schrieb, für die angeblich die HVA die Informationen geliefert hatte. Immer dieselben Fragen, immer dieselben Antworten. Auch Wallraff scheint das zu spüren. Er spricht schnell und aufgeregt, aber er erscheint gleichzeitig erschöpft und mutlos. Resigniert stellt er schließlich fest: In Situationen, wo Akten übermächtig werden und sich des Menschen bemächtigen, wird es immer schwieriger, Dinge und Abläufe zu erklären."

Das Lagerdenken der Linken

Vielleicht auch deshalb sucht er in diesem Schlagabtausch sein Heil in Attacken auf Springer und Bild. Etwa als Claus Strunz ihn gegen Ende der Sendung fragt, ob er sich von der Stasi hat instrumentalisieren lassen. Das habe er nicht, antwortet Wallraff, aber er räume selbstkritisch ein, die DDR damals zu unkritisch gesehen zu haben. Das sei dem Lagerdenken" der Linken geschuldet gewesen, darüber müsse man heute kritisch reden. Und dann wendet er sich an Strunz: Auch Ihr Haus muss einmal aufarbeiten, dass Axel Springer mit faschistischen Diktaturen in Südafrika, Chile und Argentinien paktiert hat." Strunz winkt ab, das Publikum applaudiert.