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ALTE ENTHÜLLUNGEN:
GÜNTER WALLAFF UND
DIE STASI-AKTEN
Echte und gefälschte Nazi-Akten waren für Markus
Wolfs Desinformationsabteilung fast immer eine sichere
Eintrittskarte, wenn es galt, sich an westdeutsche Journalisten
mit investigativem Interesse heranzumachen. Auch Günter
Wallraff wurde so geködert. Die Archivare", von denen er in
Ost-Berlin NS-Unterlagen vorgelegt bekam, gehörten jenem Ministerium
an, dessen Archivgut gerade wieder für Aufregung sorgen soll.
Seit das Bundeskanzleramt zum 1. Juli die von der CIA an
Deutschland zurückgegebenen streng geheimen Rosenholz"-Akten
freigab, wird mit neuen Enthüllungen über bislang
unbekannte westdeutsche Stasimitarbeiter gerechnet. Das
Rosenholz"-Material enthüllt Klarnamen von rund 10 000 Stasizuträgern,
die zwischen 1949 und 1989 Informationen nach Ost-Berlin
lieferten. Vor zwei Wochen kamen als erste Rosenholz"-Frucht
neue Unterlagen über den PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky
ans Tageslicht. Jetzt werden Unterlagen über Günter Wallraff
zur Diskussion gestellt, die den Eindruck erwecken sollen, an
einer Stasi-Mitarbeit Wallraffs, die bereits in den neunziger
Jahren diskutiert wurde, könne kein Zweifel mehr bestehen. Dabei
handelt es sich lediglich um ältere, längst bekannte Stasidossiers
über Günter Wallraff. Das Material stammt auch keineswegs aus
dem Rosenholz"-Bestand. Die Bundesbeauftragte für
die Stasiunterlagen reagierte daher sogleich mit einem
entschiedenen Dementi auf den Bericht der Tageszeitung Die Welt". Es
gebe, so die Reaktion der Behörde auf die groß aufgemachte
angebliche Enthüllung, zu Günter Wallraff nichts Neues". Wallraff selbst
weist die Anschuldigungen empört zurück und spricht von
einem Rufmordversuch im Sommerloch". Das Dossier, dem die nun
zum wiederholten Male publizierten Stasieinschätzungen über
den Kölner Enthüllungsschriftsteller entnommen wurden, ist
ein zwiespältiges Dokument, das unterschiedlichen
Interpretationen Raum läßt. Neben den Gemeinsamkeiten" mit unserer
Haltung und Einschätzung der BRD" konstatierten Markus Wolfs
Leute bei Wallraff anarchistisches Verhalten" und wirre
Vorstellungen über gesellschaftliche Entwicklungen". Nicht ohne Belang
durfte dabei der Zeitpunkt sein, zu dem das Dossier entstand. Es
wurde am 25. November 1976 auf Anforderung des Sekretariats
von Minister Mielke erstellt. Wolf Biermann, den die SED gerade
aus der DDR ausgebürgert hatte, war just zu diesem Zeitpunkt
bei seinem Freund Wallraff in Köln eingezogen. Ich muß
heute gestehen", schrieb Wallraff anläßlich der
fünfundzwanzigsten Wiederkehr der damaligen Ereignisse, daß es erst
dieser Ausbürgerung bedurfte, um die DDR endgültig
als antisozialistisches und menschenverachtendes Willkür-
und Unrechtsregime ohne irgendwelche Reformchancen
zu durchschauen." Ob Günter Wallraff, als er noch anders über
die DDR dachte, wirklich nicht wußte, in welchem Auftrag ihn
ein Kulturredakteur der Rostocker Ostseezeitung"
gelegentlich aufsuchte und mit wem er es bei seinen Recherchen in
DDR-Archiven zu tun bekam, bleibt nach wie vor offen. Es ist
durchaus möglich, daß sich in der Rosenholz"-Überlieferung dazu
weitere Informationen finden. Aber zunächst müßten die
Karteikarten vollständig ausgewertet werden. Erst danach läßt sich sagen,
ob es im Verhältnis Wallraffs zur Stasi noch Dinge gibt, die
der Enthüllung wert sind. JOCHEN STAADT
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