Namenlos1

Günter Wallraff

In diesen Akten erkenne ich mich nicht wieder"

04.September2003Diese Karteikärtchen und diese Akten versuchen sich jetzt des Menschen zu bemächtigen": Günter Wallraff verteidigt sich im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen die neuen Stasi-Vorwürfe.

Die neuen Vorwürfe gegen Sie sind eindeutig: Sie wurden von der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter mit Arbeitsakte" geführt.

Das ist nichts Neues. Seit 1989 kommt das in einem neunseitigen Papier vor. Die Akte wurde geführt, aber nicht ich wurde geführt. Und ein Führungsoffizier kann einer Akte Gewalt antun. Mir konnte er keine Gewalt antun. Ich bin nicht zu steuern, bin nicht fremdbestimmt. Jeder, der mich kennt, weiß, wie individualistisch ich bin. Ich habe mich nie einer Ideologie oder einem Dogma verschrieben. Zwischen 1968 und 1971 hatte ich Archive der DDR genutzt, es ging hauptsächlich um NS-Täter. Und jetzt kommen plötzlich Karteikärtchen und Akteneintragungen, die nichts mit mir zu tun haben und in denen ich mich nicht wiedererkenne. Das heißt, diese Karteikärtchen und diese Akten versuchen sich jetzt des Menschen zu bemächtigen. Aber ich kenne mich besser, und die, die mich kennen, wissen auch, daß das nichts mit mir zu tun hat.

Sie werden als A-Quelle" bezeichnet, und das heißt als jemand, der andere Personen abgeschöpft hat.

Das ist absoluter Schwachsinn. In den neun Seiten steht zum Beispiel eindeutig drin, und das ist das Fleisch und sind nicht die Knochensplitter, an denen jetzt alle nagen: Über Wallraff waren keinerlei Personenhinweise zu erlangen. Was heißt A-Quelle"? Ich habe mich in der Gauck-Behörde erkundigt, und dort sagte man mir, A-Quelle" heißt Abschöpfungsquelle, also ich wurde abgeschöpft. Aber gut, das ist eine Interpretation. Da sind Leute, die sich besser auskennen, mit befaßt.

Aber jetzt ist Marianne Birthler - anders noch als vor drei Wochen - vor die Kamera getreten und hat gesagt, die frühere Feststellung, es gebe keine hinreichenden Hinweise auf eine IM-Tätigkeit von Ihnen könne nicht aufrechterhalten werden".

In ihrem Haus gibt es mindestens zwei Ansichten, was die Bewertung gerade meiner Akte betrifft. Man hat es sich dort nicht leicht gemacht, sondern zwei Wochen darüber debattiert. Ich respektiere Frau Birthler, und die Behörde ist für mich ganz wichtig. Hätten wir das über das Dritte Reich gehabt, hätte ich mich nicht in DDR-Archiven umsehen müssen. Frau Birthler selber mußte das wohl relativieren, da sie in Akteneinschätzungen von DDR-Bürgern sehr strenge Maßstäbe angelegt hat und Vorwürfe laut wurden, daß in meinem Falle zu milde Auslegungen Oberhand gewonnen hätten. Sie hat aber nicht gesagt, Wallraff war aktiver IM", sondern sie hat gesagt, Wallraff wurde als IM geführt". Und das ist ein gewaltiger Unterschied.

In der elektronischen Datenbank der Stasi (Sira") liegen sechs Informationsstichworte zu IM Wagner".

Ich habe diese Kärtchen ja schon seit ein paar Jahren, damals hatten sie nur eine andere Registriernummer und waren mir nicht zuzuordnen. Aber so, wie diese Einträge sind, hat es auch nichts mit mir zu tun: Ich hatte keine Kontakte oder Kenntnisse über Forschungsinstitute in West-Berlin oder den Vereinigten Staaten, ich kannte weder direkt noch indirekt jemanden, der damit zu tun hatte. Ich war als Kriegsdienstverweigerer jenseits dieses militärtechnischen Bereichs. Und dann gibt es einen Eintrag Bayer-Werke". Da ist ein Wissenschaftsjournalist, Jörg Heimbrecht, sehr stolz darauf, der dieser Akte auch schon 1989 eine eidesstattliche Erklärung bei der Gauck-Behörde beigelegt hat. Die ist für jedermann abrufbar: Heimbrecht ging damals dem Verdacht nach, daß es sich bei einem Geheimpatent der Bayer-Werke vielleicht um Kriegsforschung handelte, und er hat das damals auch in Konkret" veröffentlicht - die Informationen stammten übrigens nicht aus DDR-Quellen.

Ich habe inzwischen den Eindruck, daß es in solchen Ämtern fast kafkaeske Aktentäter gibt, die sich der Menschen bemächtigen und ihnen, um sich karrierefördernd zu verhalten, Sachen zuschreiben. Meine Kontakte waren zwischen 1968 und 1971, und danach geriet ich sogar in Verdacht, das können Sie in der Gauck-Behörde nachlesen, für einen westlichen Geheimdienst zu arbeiten. Da wurde ich abwehrmäßig", so nannten die das, observiert und bespitzelt. Übrigens: Wäre ich für einen westlichen Geheimdienst tätig gewesen, würde ich heute nicht einer solchen Kampagne ausgesetzt sein. Als dann mein Freund Wolf Biermann ausgebürgert wurde und bei mir einzog, ich für ihn internationale Solidaritätsinitiativen ergriff und wir dem SED-Regime heftig zusetzten und Menschenrechtsverletzungen reklamierten, das kann Biermann bestätigen, da wurde, nach 1976, rückwirkend von der Abwehr der DDR gesagt: Hatten wir mit dem mal was zu tun?" Und dann haben die einen Bericht verfaßt, in dem plötzlich diese neun Seiten auftauchen und in dem es heißt, Wallraff ist ein Anhänger der katholischen Soziallehre, Wallraff läßt sich nicht vom marxistisch-leninistischen Standpunkt beeindrucken, hat wirre anarchistische Vorstellungen.

Um mich richtig mies zu machen und als Feindperson aufzubauen, aber haben sie dann noch was draufgesetzt: Wallraff ist der Spielsucht verfallen, Wallraff probiert alle Drogen aus. Ich muß sagen: Ich litt nie an einer Spielsucht und habe als Sportler nie Drogen ausprobiert. Das ist ein Versuch, jemandem im Nachhinein zur Strecke zu bringen. Und dann am Ende gibt es noch eine Stabstelle, die alle Menschen, die mal mit der DDR zu tun hatten, aktenmäßig erfaßt. Wenn mir jetzt, der ich mir wegen dieser Kontakte nichts vorzuwerfen habe, eine solche Lawine entgegenschlägt, wie erst dann, wenn das gesamte Rosenholz- und Sira-Material mal an die Öffentlichkeit kommt? Ich hoffe, daß die Republik das aushält und nicht aus den Fugen knallt.

Sie bleiben dabei: Sie wurden von der Stasi nicht angeworben und auch nicht angesprochen, für sie zu arbeiten?

Ich wurde umworben. Meine sozialkritischen Schriften wurden in der DDR nachgedruckt, es gab einen interessanten Defa-Film Steckbrief eines Unerwünschten" über mich, Hörfunkbeiträge, hohe Auflagen. Das änderte sich nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann, dann wurde ich Feindperson, die - so heißt es in der Akte von Jürgen Fuchs - observiert, zurückgedrängt" und bespitzelt wurde. Ich habe bei meinen Gesprächen in der DDR nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich, würde ich dort leben, bestimmt - wie geschätzte Kollegen von mir - im Gefängnis oder in der Psychiatrie gelandet wäre.

Die Fragen stellte Andreas Rossmann.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2003, Nr. 206 / Seite 35