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aus: Süddeutsche Zeitung 05.09.2003
IM PROFIL
Günter Wallraff
Enthüllungs-Journalist unter Stasi-Verdacht
Ganz gleich, wie der Fall des IM Wagner" nun ausgeht: Dass der Verdacht geheimdienstlicher Arbeit
für die DDR sich immer wieder gegen Günter Wallraff richtet, liegt auch an ihm, an der besonderen Rolle,
die er in der Öffentlichkeit der alten Bundesrepublik gespielt hatte. Der Verdacht ist ein Schatten, den er
sich selbst zum Begleiter erkoren hatte. Die Reportagen, mit denen der 1942 im rheinischen Burscheid als
Sohn eines Vagabunden" geborene Wallraff in den späten sechziger Jahren berühmt wurde, waren ein
Stochern nach der Wahrheit, die sich selbst verraten sollte: In den Industriereportagen" (1966) berichtete er,
als Undercover-Agent der Kapitalismuskritik, aus dem Elend der Hilfs- und Gelegenheitsarbeiter. In den
13 unerwünschten Reportagen" (1969) gab er sich als Ministerialrat Klöver" aus, erforschte
bewaffnete Werkschutztruppen oder trieb sich als Obdachloser" in Asylunterkünften herum.
Günter Wallraff war das Chamäleon der deutschen Publizistik. Er beherrschte die Techniken
des Einschleusens, der Tarnung, des verdeckten Dabeiseins. Was er trieb, war Körperpolitik,
ein Existentialismus des Politischen, der vor persönlichen Konsequenzen nicht zurückwich: Im Mai
1974 kettete er sich aus Protest gegen die griechische Militärjunta an eine Athener Säule an und verschwand
für einige Monate im Gefängnis. Seine in der Zelle entstandene Verteidigungsrede wurde zum
weithin rezipierten Pamphlet einer demokratischen Erneuerung. Die entsprechende Rolle behielt er: Im Jahr
1976 verhinderte er vermutlich sogar einen Putsch in Portugal, indem er sich dem ehemaligen
Staatspräsidenten General Spinola als Waffenlieferant andiente und ihn dann enttarnte. Und nachdem er sich für den
Band Der Aufmacher" 1977 in eine Lokalredaktion der Bild-Zeitung eingeschlichen hatte, bescheinigte ihm
ein Gericht in letzter Instanz, durch seine Reportage Fehlentwicklungen im Journalismus" offen gelegt
zu haben. Den größten Erfolg schließlich errang Günter Wallraff als Türke Ali", der sich auf
Großbaustellen und in Restaurantküchen übel mitspielen ließ: Der Band Ganz unten" (1985) erreichte in Deutschland
eine Auflage von vier Millionen Exemplaren, wurde in 33 Sprachen übersetzt und ein Jahr später verfilmt
und zog eine juristische Auseinandersetzung mit den verschwiegenen Zuträgern nach sich.
Danach wurde es stiller um Günter Wallraff. Seine Engagements gegen die Verletzung der
Menschenrechte in der Türkei, für Israel im ersten Golfkrieg und gegen die PKK erreichten die große Öffentlichkeit
nicht mehr vielleicht, weil es keinen Verblendungszusammenhang" mehr zu zerreißen gab, weil
das herrschende System" seine Geheimnisse heute offen legt. Nachrichtendienstlich hat Günter Wallraff
also schon immer gearbeitet, wenn nicht für einen Geheimdienst, dann doch als Agent im eigenen Auftrag.
Dafür wurde er von einer damals noch großen kritischen" Öffentlichkeit bewundert und oft juristisch
verfolgt. Dabei nutzten diese Prozesse meist seiner Popularität. Bei der Frage nach IM Wagner" wird es nun
anders sein.
Thomas Steinfeld
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