aus: EXPRESS 23. Mai 2001

 

Von CHRISTOF ERNST

Drahtig, schlank, muskulös: Günter Wallraff wirkt trotz seiner 58 Jahre durchtrainiert. Wenn da die Krücken nicht wären. Er braucht sie noch, denn er musste wieder gehen lernen. Der Autor der Millionen-Seller "Ihr da oben - wir da unten" oder "Ganz unten" spricht im EXPRESS über seine mühsame Genesung.

EXPRESS: Herr Wallraff, wie geht es Ihnen?

Günter Wallraff: Ich musste nach einer komplizierten Operation wieder richtig laufen lernen. Ich hatte jahrelang Schmerzen und konnte mich kaum aufrecht halten. Die Operation scheint gelungen. Jetzt liegt es an mir, durch drei- bis vierstündige Reha-Maßnahmen wieder Muskeln aufzubauen.

Sie haben früher Triathlon trainiert. ..

. . .und ich habe den Ehrgeiz, diesen Sport wieder auszuüben. Schließlich war ich kurz davor, den großen Triathlon zu schaffen. Ob ich noch einmal Marathon laufen kann, weiß ich nicht. In meinen besten Zeiten war ich eine Stunde schneller als Joschka Fischer. Den Frankfurter Stadtmarathon bin ich in 2 Stunden und 50 Minuten gelaufen.

Wie kam es zu der Krankheit?

Es ist möglicherweise eine Verschleißerscheinung, hängt aber vielleicht auch mit meiner Knochenarbeit bei Thyssen zusammen, als ich dort für mein Buch "Ganz unten" in bis zu 16-stündigen Dauerschichten recherchierte. Vor der OP schlich ich geknickt wie ein Fragezeichen herum, manchmal lag ich ganz flach. Das hatte aber auch was Positives: Ich habe so viel gelesen wie lange nicht mehr.

Liegt es an der Krankheit, dass Sie so lange kein neues Buch mehr gemacht haben?

Ja, ich musste mehrfach die Rolle, in der ich mich befand, unterbrechen. Ich kann jedoch versprechen: Das Buch kommt dann heraus, wenn es keiner erwartet. Es gibt ja einen entsetzlichen Erwartungsdruck: Nach meinen Erfolgen erwarten viele nach dem doppelten jetzt den dreifachen Salto rückwärts - und ohne Netz.

Können Sie sich das finanziell erlauben, so lange nix zu machen?

Durch die hohen Auflagen meiner Bücher bin ich in der glücklichen Situation, nicht nur davon leben, sondern auch Prozesse gegen die führen und gewinnen zu können, die mich als Lügner hinstellen wollten. Außerdem habe ich keine übertriebenen Luxusbedürfnisse. Ich brauche keine Segeljacht, mir macht Kajakfahren mehr Spaß.

Prozessieren Sie immer noch?

Ja, am 30. Mai zum Beispiel fällt hier in Köln ein Urteil in einem Verfahren gegen die Zeitschrift "Lokus" . . .

Sie meinen sicher "Focus"?

Jedenfalls die mit dem Werbespruch "Fälschen, fälschen, fälschen und immer an den Rufmord denken . . ." Die haben, ohne mich zu fragen, Fotos aus meinen früheren Büchern abgedruckt, die ich selbst geschossen hatte. Und behaupteten dann, ich hätte das Copyright nicht. Der Prozess ist so gut wie gewonnen. Das Bußgeld muss der Burda-Verlag an Cap Anamur zahlen.

Wer liest heutzutage Ihre Bücher?

Die laufen und laufen. Es gab erst kürzlich wieder einen Schub bei meinen "Bild"-Büchern, als das Blatt die Kampagne gegen Joschka Fischer und Jürgen Trittin startete und ein Foto von Trittin fälschte. Und "Ganz unten" ist ein sogenannter Longseller. Erst kürzlich wurde er ins Arabische übersetzt.

Sie haben am Gedenktag der Bücherverbrennung gelesen. Muss das immer noch oder wieder sein?

Natürlich muss es sein. Ich habe bei Schulveranstaltungen im Osten Deutschlands bei Jugendlichen eine erschreckende Un-kenntnis festgestellt. Eine Gesellschaft, die sich weigert, ihre Vergangenheit wach zu halten, kann in die Gefahr kommen, dass sich das alles noch einmal wiederholt.

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