Namenlos1

Grenzgänger

Der Kölner Enthüllungsautor Günter Wallraff und der Rostocker Journalist Heinz Gundlach - eine Männerfreundschaft im Spannungsfeld des Kalten Krieges, für die sich nicht nur die Stasi interessierte.

Ich bin Dr. Heinz Gundlach und Mitarbeiter der OSTSEE-ZEITUNG in Rostock. Bitte benachrichtigen Sie meinen Betrieb." Die ersten Worte auf dem Polizeipräsidium in Hamburg im Dezember 1971. Heinz Gundlach , damals stellvertretender OZ-Chefredakteur, war den Ermittlern an der Elbe in die Falle getappt. Unter falschem Namen, mit falschem Pass-aus Kopenhagen kommend.

Nach drei Monaten wurde er gegen eine Geldstrafe von 5000 D-Mark (wegen Urkundenfälschung) freigelassen und in die DDR abgeschoben. Gundlach hatte sich in Kopenhagen mit dem aufstrebenden Enthüllungsautor Günter Wallraff getroffen. Worum ging es? Worin lag die Mission der Reise von Ost nach West in der Zeit des Kalten Krieges?

Gundlach, dem heute bundesweit fast alle Rechercheure nachsagen, er sei IM Friedhelm" und Wallraffs Stasi-Kontaktmann gewesen, hat bislang beharrlich geschwiegen. Jetzt lässt der heute 68-Jährige im Gespräch mit der OSTSEE-ZEITUNG erstmals seine Version erkennen: Die Geschichte einer auf Sympathie basierenden Männerfreundschaft, die auch, aber nicht nur, politisch motiviert war, die bald instrumentalisiert wurde, dadurch Schaden nahm, aber letztlich nie ganz zerbrach.

Das Pendant in der Geschichte: der Kölner Bestseller-Autor Günter Wallraff (61) und die Frage: Hat er oder hat er nicht? Hat er für die Stasi geschnüffelt, hat er sie nur benutzt, um an bestimmte Informationen zu kommen; hat die Stasi ihn benutzt, und er hat es nicht gemerkt? Oder wollte jeder schlauer als der andere sein und am Ende sind alle gelinkt worden?

Strafrechtlich ist das Ganze völlig uninteressant, denn es ist mehr als 30 Jahre her und damit verjährt. Dennoch erhitzte die Geschichte im Sommer 2003 noch einmal die Gemüter der Medienwelt, weil neues Material bei der Birthler-Behörde (Stasi-Unterlagen) aufgetaucht war.

Und da ging es Wallraff um seinen Ruf, um sein Image als Kämpfer der Leute von Ganz unten", wie der Titel eines seiner Bücher lautet, das allein vier Millionen Mal verkauft wurde. Und Gundlach geht es jetzt wohl auch um sein Selbstbild, das im Herbst 1989 schwer erschüttert wurde. Als erster Rostocker Spitzenfunktionär-er war ab 1973 Kulturchef des Rates des Bezirkes-reichte er am 5. November '89 seinen Rücktritt ein und ging in die Arbeitslosigkeit. Die einen nannten mich Wendehals, die anderen Verräter."

In allen medialen Spekulationen über das Duo Wallraff/Gundlach spielte der 17. Dezember 1971 eine besondere Rolle. An jenem Tag trafen sich die beiden in Kopenhagen. Wallraff gab irgendwann später zu Protokoll, es sei um Theatertexte und Namen von Nazi-Größen aus dem Westen gegangen, die Gundlach ihm aus DDR-Archiven für Recherchen besorgen sollte.

Zu diesem Zeitpunkt kannten sich beide schon über fünf Jahre. Wallraff hatte im Juni 1966 ein Gastspiel des Hamburger Jungen Theaters in Rostock begleitet und war dabei erstmals mit Gundlach zusammengetroffen. Dieser hatte bald darauf dafür gesorgt, dass die OSTSEE-ZEITUNG als erstes Blatt der DDR im September 1966 ungekürzt eine von Wallraffs legendären Industrie-Reportagen (Auf der Werft") abdruckte. 1967 holte Gundlach ihn zu einer Lesung ins Volkstheater...

Über diese Zeit sagte Wallraff im September 2003 dem Berliner Tagesspiegel": Wir hatten eine echte Freundschaft mit den Gundlachs, da war nix Falsches dran. Die hatten ein gleichaltriges Kind, ich mochte auch seine Frau sehr gerne..." Gundlach sagt heute: Wir waren und sind gut befreundet."

Gundlach war Mitte der 60-er Jahre als OZ-Kulturredakteur und im Auftrag des DDR-Presseamtes mit dem Rostocker Volkstheater auf Westreisen gegangen. Den 'Marat' in der Inszenierung von Hanns Anselm Perten haben wir drüben 26 Mal aufgeführt. Ein Riesenerfolg." Und während der Gastspiele traf er sich mit Wallraff. Gundlach: Wir lagen poltitisch auf einer Wellenlänge, aber wir waren auch einfach junge Männer mit Sinn für Spaß und so weiter." Eine Männerbekanntschaft, für die sich schon bald auch die Stasi interessierte.

Neben seinen kulturellen Ambitionen trieb Gundlach eine weitere Mission nach Westen. Er war offizieller Kontaktmann" der SED-Bezirksleitung Rostock zur Hamburger SPD, genauer zum Ortsverein Lokstedt. Dessen Vorsitzender war ab 1963 Wolfgang Düysen. Düysen, vor Jahren verstorben, bestätigt die SED/SPD-Kontakte in einem Aufsatz für die 1994 in Köln erschienene Anthologie Verratene Treue - Die SPD und die Opfer des Kommunismus" und nennt dort Gundlach auch namentlich.

Auch der langjährige (1976 bis 1994) Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Paterna (66), der damals ebenfalls dem Ortsverein Lokstedt angehörte, bestätigt Gundlachs Aussagen: Zwischen der SPD-Basis im Bezirk Eimsbüttel und der SED Rostock hat es über Jahre Kontakte gegeben. Wir haben uns hier und dort nächtelang die Köpfe heiß geredet, wie man die Welt verbessern könnte oder auch nicht."

Die Hamburger Basisgenossen sicherten sich sogar ab, setzten laut Paterna irgendwann Herbert Wehner, damals Minister für gesamtdeutsche Fragen, von der Sache in Kenntnis.


Auch die SED-Seite bestätigt die Kontakte. Siegfried Unverricht (76), damals Propaganda-Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock, erinnert sich: Es war die Zeit des Dialogs, wir bemühten uns um Kontakte zur SPD, und Gundlach war einer von mehreren, die zu diesem Zweck in den Westen reisten."

Noch detaillierter weiß es Sepp Wagner (74), damals Sektorenleiter Westarbeit der SED-Bezirksleitung: Wir, das heißt die Partei, haben diese Leute ausgewählt und rübergeschickt. Sie fuhren unter ihrem richtigen Namen mit normalen Reisedokumenten. Sie sollten klug, tolerant und zuverlässig sein. Das traf auf Gundlach zu."

Und die Stasi? Vergab sie dann den zweiten Auftrag? Wagner: Es gab ein ungeschriebenes Arrangement, dass die andere Stelle von unseren Leuten die Finger lässt."

Gundlach, der bestreitet, jemals Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein, fuhr nach eigenen Angaben ab 1967 häufig in den Westen. Weshalb er 1971 nach Kopenhagen unter falschem Namen reiste, begründet er so: Weil die DDR 1971 noch keine diplomatische Anerkennung genoss, mussten sich alle Dienstreisenden, die ein Nato-Land besuchen wollten, in Westberlin beim so genannten Allied Travel-Office melden, wo ihnen die jeweilige Einreisegenehmigung erteilt wurde. Das hat die DDR-Behörden natürlich angestunken, weil der Westen so immer die Kontrolle hatte, wer aus der DDR wohin reiste."

Und um dies im Fall Kopenhagen zu umgehen, verordnete" der zuständige Mitarbeiter des DDR-Presseamtes Heinz Gebhardt, der in Wirklichkeit Heinz Dornberger hieß und Stasi-Offizier war, Gundlach eine neue Identität. Die Dinge regeln sich zwar bald anders, aber jetzt musst du mit falschem Pass fahren", sagte er zu Gundlach nach dessen eigenen Angaben.

Dokumente der Birthler-Behörde ermöglichen ergänzende Schlüsse: Danach war Gundlach tatsächlich von 1965 bis 1969 in der Westarbeit der SED aktiv. Doch dann-so lassen sich die Unterlagen deuten-ist er dort völlig herausgelöst und von der Stasi (Hauptverwaltung Aufklärung) übernommen worden. Seine Aufgabe: Abschöpfung von Wallraff. Die Stasi wollte alles wissen über den jungen Erfolgsautoren, der zum linken Spektrum gehörte.

Worum ging es in Kopenhagen? Das lässt sich nicht auf einen Nenner bringen", sagt Gundlach heute. Wallraff wollte nach Schweden, wir wollten uns treffen, er ahnte wohl, dass er vom Bundesnachrichtendienst (BND) beschattet wird." Was war geschehen?

In unmittelbarer Umgebung von Wallraffs Wohnung in Köln war am 2. Dezember 1971 Marianne Herzog festgenommen worden, die zum Kern der Baader/Meinhof-Gruppe gehörte, aus der sich später die Rote Armee Fraktion (RAF) rekrutierte. Die Ermittler hegten den Verdacht, Wallraff hatte der Gesuchten Unterschlupf gewährt. Als Wallraff am 17. Dezember in Kopenhagen Gundlach traf, erzählte er diesem, dass Marianne Herzog verhaftet worden war.

Wallraff hegte zu dieser Zeit gewiss Sympathie für die Baader/Meinhof-Szene, wenngleich er sich schon früh öffentlich von allen terroristischen Aktionen distanzierte. Dem Tagesspiegel" sagte er 2003: Ich habe die Ulrike (Meinhof) sehr geschätzt, als sie sich sozial engagiert hat..."

Worum ging es außerdem in Kopenhagen? Gundlach: Wallraff wollte inkognito in einen DDR-Betrieb, ich sollte helfen. Ich wollte eine Story über rechte Gruppen im Westen machen, er sollte helfen. Das war-naja, wie ein Arbeitsgespräch. Wir wollten zu Helene Weigel mit einem Stück von ihm und so weiter."

Nach Unterlagen der Birthler-Behörde ging es in Kopenhagen auch um die Deutsche Union, eine rechte Randgruppe, für die sich die DDR interessierte. Wallraff hatte Material besorgt, dessen Weitergabe zwar nicht kriminell war. Gleichwohl stellte der Vorgang so etwas wie Nachrichtenübermittlung dar, wovon aus Wallraffs Sicht die westdeutschen Behörden nicht unbedingt wissen mussten.

Wallraff traf sich in Kopenhagen außerdem mit seiner schwedischen Freundin Britta Edwall, wovon wiederum seine Frau nichts wissen sollte. Deshalb, so Gundlach, sei Kopenhagen gewählt worden und wohl auch, weil Wallraff sich beobachtet fühlte. Nicht zu Unrecht, denn das Kopenhagen-Treffen wurde lückenlos durch dänische Behörden überwacht-im Auftrag der bundesdeutschen, wie diese es heute darstellen.

Als Gundlach später auf dem Hamburger Flughafen verhaftet wurde, fand sich in seinen Aufzeichnungen wenig Brauchbares für die Ermittler. Broschüren, lose Notizblätter, Material über rechte Strömungen und ein an Wallraff adressierter Brief eines Studenten. Der bot sich an, Wallraff die Anschrift eines Kellners zu besorgen, der gelegentlich in einem Hamburger Lokal den Verteidigungsminister Helmut Schmidt bediente. Wallraff hüllt sich dazu in Schweigen, und Gundlach hat auch keine plausible Erklärung: Der Brief war bei mir, aber ich kannte seinen Inhalt nicht. Wahrscheinlich hatte ich ihn in Kopenhagen versehentlich mit gegriffen."

Die Hamburger Behörden hatten sich mehr erhofft: Die dachten, sie haben mit mir den großen Unbekannten geschnappt, der vom Osten aus die Baader/Meinhof-Gruppe betreut", sagt Gundlach. Ich war in die Rasterfahndung der Baader/Meinhof-Kommission bei der Kripo gekommen."

Ihren Verdacht konnten die Ermittler offenbar nicht erhärten. Gundlach kam nach drei Monaten frei.


Merkwürdig: Wallraff ist niemals zu dem Treffen befragt worden. Warum nicht? Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe begründet dies heute unter der Hand mit dem Argument, man habe die Ermittlungen zu Baader/Meinhof nicht stören wollen. Offiziell gibt es gar keine Auskunft. Weil gegen Herrn Wallraff kein Ermittlungsverfahren vorliegt", sagt Sprecherin Frauke-Katrin Scheuten. Außerdem: Das Thema geheimdienstliche Agententätigkeit ist verjährt."

Die Deutsche Union, die RAF, die Stasi-aus heutiger Sicht alles weit weg. Und die Männerfreundschaft? Sie nahm Ende 1971 schweren Schaden. Als Gundlach in Hamburg hochging, beschlichen Wallraff wohl Ängste, ihn könnte es auch bald treffen. Und Gundlach war für die Stasi verbrannt. Schlimmer noch: die Abwehroffiziere dachten, er sei umgedreht worden. Gundlach: Es gab zwei Lager: Die einen meinten, ich sei übergelaufen, die anderen hielten mich für einen treuen Genossen."

Wahrscheinlich stimmt letzteres, zumindest tat Gundlach- wohl auch aus Schuldgefühlen heraus-alles, um weiter als zuverlässig" zu gelten. Ehemalige Mitarbeiter aus seinem Umfeld schildern ihn als ambivalente Persönlichkeit. Ein hochintelligenter Lobbyist der Künste und der Künstler", der als Funktionär hart und unnachgiebig" sein konnte.

Gundlach stellte sich nach der Wende nicht wie sein Freund Wallraff nur im Rollenspiel, sondern tatsächlich ganz unten" an: Er betreute acht Jahre lang Alkoholkranke in Rostock. Er bildete ehrenamtlich als Trainer fünf Jahre lang Kinder im Tischtennis aus. Und er schrieb neun Bücher, in denen er zum Teil auch den Versuch der Reflektion über Zurückliegendes unternimmt.

Wallraff nahm 1976 den aus der DDR ausgewiesenen Liedermacher Wolf Biermann für einige Zeit bei sich auf. Damit war er der SED end-gültig suspekt. Gundlach durfte lange Zeit nicht mehr in den Westen reisen, und Wallraff kam nicht mehr in den Osten. Ausnahme: 1972. Wir trafen uns noch einmal in Berlin", berichtet Gundlach. Wallraff wollte sich davon überzeugen, dass es mich noch gibt, dass ich alles überstanden hatte."

Aus heutiger Sicht stellt der Bruch vom Dezember 1971 sowohl für Gundlach als auch für Wallraff einen Glücksfall dar. Die angedachte und angearbeitete Abschöpfung Wallraffs blieb im Ansatz stecken. Nicht, weil die Stasi es so wollte, sondern weil der BND nicht abwarten konnte und Gundlach überhastet hochgehen ließ.

Die Männerfreundschaft zerfaserte-nicht zuletzt aus Kontaktmangel. Das System, dem der eine treu diente und dem der andere mindestens wohl gesonnen war, hatte kein Interesse mehr am Bestand dieser Verbindung, die dennoch nie ganz abriss (Briefwechsel, Telefonate). Erst die Implosion der politischen Verhältnisse in der DDR 1989, von denen zumindest zeitweilig beide geglaubt hatten, sie seien die besseren, machte es möglich, dass sie sich wieder begegnen konnten. Zuletzt bei Gundlachs Geburtstag im letzten Jahr in Rostock.

JAN EMENDÖRFER

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