aus: BIZZ, Nr. 10-2001

"Reinster Kitschvogel"

Interview. Die ARD baut mit dem Film "Der Verleger" Axel Springer ein Denkmal. Günter Wallraff tritt gegen den Sockel.

 

Axel Springer wird im zweiteiligen Fernsehfilm als "erfolgreichster Verleger Europas" und "großer Deutscher" dargestellt. Sehen Sie ihn auch so?

Springer ist heute mit einem Heiligenschein ausgestattet. Alles Verwerfliche, seine brutalen Machenschaften werden nicht berücksichtigt.

Was werfen Sie ihm vor?

Menschenrechtsverletzungen und Minderheitenhetze, etwa gegen die Studenten der 68er-Bewegung. Seine "Bild" -Zeitung trägt Mitschuld am Tod von Rudi Dutschke. Springer goss immer Öl ins Feuer. Auch Eskalationen an der Mauer hat er förmlich provoziert.

Heiner Lauterbach spielt Axel Springer. Ein Kritiker schrieb, er wirke dabei wie "ein nettes Schwein".

Lauterbach ist ein anderer Typ. Springer war nicht der klassische Macho. Er hatte was Schleimig-Weihevolles. Er war der reinste Kitschvogel.

Der Biograf Jürgs nennt ihn "Philosoph und Plattmacher in einer Person".

Höchstens Gartenlauben-Philosoph. Ich habe mal alle Springer-Reden untersucht. Nicht der Funke eines originellen Gedankens ist drin. Nur verblasene Sprüche - mit Ausrutschern in die völkische Ideologie des Dritten Reichs. Er hasste Intellektuelle.

Sie arbeiteten 1977 unter dem Decknamen Hans Esser in der "Bild"-Redaktion Hannover. Mit den Enthüllungen wurden Sie zu Springers Lieblingsfeind.

Ja. Ich wurde als "Psychopath" diffamiert und zum Abschuss freigegeben. "Bild" setzte Reportertrupps auf mich an. Schon als Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung bei mir einzog, hörte "Bild" mithilfe des Bundesnachrichtendiensts mein Telefon ab, um Kompromittierendes zu finden.

Sahen Sie Springer als Ihren Feind?

Nein, als übermächtigen Gegner, einen Meinungsdiktator, der seine Macht ständig missbraucht hat. Die "Bild"-Zeitung nannte er seinen "Kettenhund", mit dem er einschüchtert und Leute zur Strecke bringt. Ich habe über ein Dutzend Abschiedsbriefe von Menschen, die sich nach Verleumdungen von "Bild" umgebracht haben.

1980 nahm sich auch Springers Sohn das Leben. Im Film wird das als Wendepunkt beschrieben. Was empfanden Sie?

Mitleid. Allerdings: Bei jedem anderen hätte "Bild" den Fall tabulos ausgeschlachtet. Da gab es keine Pietät.

Heute, 16 Jahre nach Axel Springers Tod, darf sogar Wolf Biermann in der "Welt" schreiben. Eine Revolution?

Absolut. Unter Springer wäre das undenkbar gewesen. Ein Zeichen, dass die Zeitung dabei ist, sich zu emanzipieren. Anders bei "Bild". Das Blatt kassiert noch immer die meisten Rügen des Presserats. Aber die landen bei der "Bild"-Chefredaktion ja bekanntlich im Papierkorb. MX

"Der Verleger" wird in der ARD ausgestrahlt am 9. und 10. Oktober, jeweils um 20 15 Uhr.

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